Das Matai - System

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Was tut ein Matai?

Alle Matais der Familie haben das Recht, an den Versammlungen des Dorfrates, des Fonos, teilzunehmen. Sind sie zur Zeit der Sitzung im Dorf, ist dies auch eine Pflicht. Auch im Fono gibt es eine ungeschriebene Rangfolge der Titel, je älter und bedeutender ein Titel, desto gewichtiger die Meinung seines Trägers. Das Gleiche setzt sich fort in den Versammlungen der Distrikte, in denen sich dann jeweils die hohen Matais der Dörfer treffen.

Das wirklich Besondere am samoanischen Matai-System ist aber die Teilung der Titelnamen und ihrer Träger in zwei Gruppen, Alii und Tulafale. Alii sind die nominell höheren Titel, besonders auch in der Herleitung aus legendären Zeiten. Der Alii hat die eigentliche Entscheidungsgewalt, obwohl er - und dies ist das Wichtige daran - nach außen hin kaum in Erscheinung tritt. Dies macht der Tulafale, der Sprecher-Matai, der die Entscheidungen verkündet und für ihre Durchsetzung sorgt.

Ebenso ist es im Fono. Die Tulafales der Familien stellen vor, was die Familien beschlossen haben. Dies wird diskutiert, das Für und Wider von Themen, die die ganze Dorfgemeinschaft betreffen. Mit weiterem Fortschreiten der Diskussion ergreifen auch Alii das Wort, kurz und knapp. Ganz am Schluß, nach Abwägung aller vorgetragenen Argumente, spricht der höchste Alii des Dorfes. Ist die Entscheidung schließlich gefallen, obliegt es den Tulafale, sie den Familien zu erläutern und sie umzusetzen.

Entscheidungen sind oft nicht einfach und sehr langwierig. Einfache Abstimmungen sind nicht das Prinzip des Ganzen, weil keine zwei Stimmen gleich schwer wiegen, genau genommen. Konsens wird gesucht, wobei die Meinung der Ranghohen ein besonderes Gewicht haben. Sie sprechen daher zum Schluß, was ihnen immer auch die Möglichkeit gibt, noch sehr strittige Fragen besonderer Bedeutung auszuklammern und zu vertagen. Zwar hätten sie die Autorität, eine Entscheidung auch gegen die Meinung aller anderen zu fällen - kaum vorstellbar, dass es dagegen Widerstand gäbe. Aber das brächte Unfrieden und der ist nicht erwünscht. Also vertagt man sich und redet noch in kleineren Kreisen weiter darüber.

Gesichtsverlust und Frontenbildung zu vermeiden, gilt als hohe Tugend und die Kunst der Diplomatie könnte in Samoa erfunden worden sein. Kein Wunder, dass in internationalen Organisationen so viele Samoaner tätig sind, weit mehr, als es bei einem so kleinen Land zu erwarten wäre. Samoa als Land hat mit niemandem Streit und Samoaner wissen, wie man Gemeinschaft herstellt und am Leben erhält, immer unter sorgsamer Beachtung der Empfindlichkeiten der "Großmächte".

Ein fein ausgewogenes und abgestimmtes System. Für den normalen Familienangehörigen ohne Titel ist es der Tulafale, der die Befehle gibt und ihre Einhaltung überwacht. Doch die eigentliche Macht hat der Alii.

Zwischen Alii und Tulafales bestehen sehr enge, oft lebenslange, Partnerschaften. Ihr Verhältnis ist, nach deutschen Begriffen, in etwa vergleichbar der Beziehung zwischen dem Vorstand und der Geschäftsführung eines Unternehmens, eines Vereins oder einer anderen Organisation. Jeder kennt die Alii, die Vorstände, aber die besprechen sich halt nur untereinander und mit dem oder den Geschäftsführern, geben selbst keine direkten Anordnungen. Die "Chefs im Betrieb" sind die Tulafale, als Geschäftsführer sozusagen, auch wenn sie letztlich die Entscheidungen nicht selbst treffen, sondern nur ausführen.

Dieses System "bricht" die Macht des Einzelnen. Keine Entscheidung fällt, die nicht mindestens mit einem anderen Matai besprochen sein muß. Denn der Alii kann nicht selbst die Befehle geben. Der Tulafale kann immer noch Bedenken vorbringen, gar Veränderungen bewirken. Befehlsempfänger ist er nur im äußersten Falle, immer auch unter dem Risiko echten Zerwürfnisses, gar Rücktritts. Und wer will das schon ...?

Denn die Ernennung zum Mataii ist nicht ganz unwiderruflich. Die Familie kann sie rückgängig machen, was einen sehr schweren Gesichtsverlust bedeuten würde. Also achtet man als Matai besser darauf, sich nicht total unbeliebt zu machen in der Familie. Anders herum kann man sich auch mit dem Dorf anlegen - dann wird die Familie aus dem Dorf ausgeschlossen, ebenfalls ein nicht unerheblicher Gesichtsverlust, besonders für den Matai.

Hat man selbst "die Nase voll", als Matai, verläßt man Familie und Dorf. Dann behält man zwar seinen Namen und seine Rechte, hat sich aber aus der "aktiven Politik" zurückgezogen.

Diese Möglichkeit, das "Abwandern", steht auch jedem anderen Familienmitglied offen, nicht nur dem Matai. Denn jeder Samoaner ist ja Angehöriger mehrerer Familien. Vier sind es meistens, Vater- und Mutterfamilie sowie im allgemeinen noch die Herkunftsfamilien der Großmütter. In jeder dieser Familien hat man das Recht auf Obdach und Versorgung, bei gleichzeitiger Pflicht der Unterordnung und Gefolgschaft. Das ergibt eine große Verwandtschaft - jeder hat um die hundert "direkte" Verwandte, in der entfernteren Verwandtschaft kommen leicht um die tausend Leute zusammen. Da gibt es immer irgendwo ein Plätzchen, wo man unterkommen kann.

Wenn also ein Matai nicht für "seine Leute" sorgt, sie gar drangsaliert, dann laufen sie ihm weg. Und er kann sie nicht aufhalten ... Ist nicht ganz einfach, aber beileibe auch nicht so schwer wie in Deutschland. Als einfacher Mensch - ohne Titel - hat man kein eigenes Haus und nur sehr wenige eigene Habseligkeiten. Normalerweise kann man sie bequem tragen. Also packt man sie zusammen, setzt sich in den Bus und fährt zu anderen Verwandten. Wo man auch nicht abgewiesen wird.

Traditionell zeigte die zahlenmäßige Größe der Gefolgschaft daher die eigentliche Qualität eines Matai. In alten Zeiten war dies sehr einfach zu "messen", an der Menge an Ie Toga ("Feinen Matten"), die eine Familie besaß. Dies sind große Matten, aus ganz schmalen getrockneten Blattstreifen geflochten. Sehr viel Arbeit, oft Monate, gar Jahre, bis eine richtig schöne große Matte fertig war. Bei besonderen Anlässen werden diese Matten ausgestellt und auch als Geschenk vergeben.

Sie haben keine andere als diese zeremonielle Funktion, dienen keinem praktischen Zweck im Haushalt. Aber: viele feine Matten = viele fleißige Hände = große Gefolgschaft = guter Matai. Die ganze Ehre einer Familie lag in der Zahl und Qualität dieser Feinen Matten. Und je bedeutender der Titel eines Matai, desto größer die "Schande", wenn er nicht auch eine seinem Status entsprechende Zahl an Feinen Matten vorweisen konnte.

Das deutsche Wort "Häuptling" - dies wird sicher deutlich - trifft für den Matai somit nur in eingeschränktem Maße zu. Einerseits ist es zutreffend, weil die Matai wirklich entscheiden und anordnen. Und wehe, diese Entscheidungen würden nicht umgesetzt, gar auch nur kritisiert. Für das "einfache" Familienmitglied ist der Matai oberste und einzige Autorität.

Aber der Matai ist keinesfalls ein so absoluter persönlicher Alleinherrscher, wie man es sich in Deutschland von einem Häuptling erwarten würde. Viele Dinge hat er zu bedenken bei jeder Entscheidung, sich mit anderen zu besprechen, die Wirkung der Entscheidungen in der Dorfgemeinschaft abzuwägen. Und immer auch darauf zu achten, dass auch die "einfachen" Mitglieder der Familie immer noch zu ihrem Recht kommen und im Großen und Ganzen zufrieden sind.

Es hat wirklich sehr viel von einem Unternehmen oder Verein, solch' eine Aiga, eine samoanische Familie. Und dies ist kein Zufall, weil eine Aiga immer auch ein Wirtschaftsbetrieb ist, Ländereien bewirtschaftet, gar Handel betreibt und Fischfang. Gut geführt, ist sie ein blühendes Unternehmen mit vielen Beschäftigten, angesehen und einflußreich auch im weiteren Umfeld. Versagt die Führung, sinkt die Zahl der Beschäftigten und die Wirtschaftskraft. Und das Ansehen.

Durch die große Zahl von Samoanern in der Stadt, gar im Ausland, hat sich an diesen Verhältnissen einiges verändert. Im Detail, nicht im Grundsatz. Denn die nicht mehr auf dem Land der Familie wohnhaften Mitglieder gehören trotzdem weiter "dazu". "Feine Matten" kann man auch kaufen, heutzutage, und wenn die Kinder in Neuseeland sind und dort arbeiten, dann können sie zwar keine Matten mehr flechten, aber das Geld schicken, mit dem man dann Matten kaufen kann. Und andere Dinge, mit denen man im Dorf Ehre einlegt als Matai. Gleiches gilt natürlich auch für die Familienangehörigen in der Stadt, Apia, die dort bei Verwandten oder gar auf einem eigenen Stück Land leben und eine bezahlte Arbeit haben. Auch hier gibt es einen regen Austausch. Sie schicken Geld ins Dorf, zu ihrer Familie, werden im Gegenzug mit Produkten vom Familienland versorgt.

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